Woche 2: Aus Zauber wird Routine
Liebe Leserin, lieber Leser,
schön, dass du wieder dabei bist. Ich bin nun seit zwei
Wochen in der Benediktinerabtei Einsiedeln und die alltägliche Routine geht mir
langsam in Fleisch und Blut über: Wie läuft eigentlich so ein Tag im Kloster
standardmäßig ab, fragst du dich. Nach der Einführungswoche und der ersten
„Arbeitswoche“ möchte ich dir dazu einen kleinen Einblick geben:
Mein Tag beginnt meist um 6:30 Uhr mit Aufstehen und Fertigmachen,
bevor ich mich um 6.45 Uhr zum Frühstücken von meinem Zimmer in einem
Nebengebäude in den Hauptbau des Klosters zum Frühstücken begebe. Meist esse ich dort ein paar
Scheiben Marmeladenbrot und trinke einen Tee. Nach einer viertel Stunde gehe
ich von dort in den oberen Chor der Klosterkirche, wo die Mönche mit uns
Klosterzeitlern, mir und Oliver, um 7.15 Uhr die Laudes, das Morgenlob, beten.
Während des Ablaufs der gesungenen und rezitierten Texte muss man im
Antiphonale, so heißt das Gebet- und Gesangbuch, oft blättern, was ganz schön
herausfordernd ist, denn jeder „Bestandteil“ des Gebetes hat seinen eigenen
Platz im Buch und eine andere Seitenzahl. Die Kunst besteht darin, zu wissen,
welches „Farbbändel“ dran ist: Rot, Blau, Grün, Braun, Violett, Gelb, … Zu
jeder Tageszeit und je nachdem, ob ein Feier-, Fest- oder Heiligengedenktag
ist, gibt es eine andere Reihenfolge. Dazu werden die Texte entweder auf
Deutsch oder Latein gebetet und in gregorianischer Weise gesungen. Der
gregorianische Choral ist ein in der Karolingerzeit des 8.-9. Jahrhunderts
entstandener, einstimmiger Chorgesang, der sich durch seine melodischen
Variationen und Virtuosen auszeichnet – so Pater Daniel, der mir eine
Einführung in den Gesang gab. Für mich ist der Choral einerseits hoch künstlerisch,
das heißt, schön anzuhören. Andererseits ist er sehr anspruchsvoll zu singen
und hat ungewohnte Melodien.
Nach Ende der Laudes um ca. 7.25 Uhr habe ich nun Zeit bis
8.30 Uhr. Ich verlasse den oberen Chor und gehe über die Klausur zurück zum
Zimmer. Wenn es ein schöner Morgen ist, gerne auch draußen. Leider ist hier
oben auf 900 Metern bis jetzt noch Winter: Nur ab und an kommt die wärmende
Frühlingssonne durch. Um 8.30 Uhr beginnt meine Arbeit. Vormittags ist diese im
Moment praktischer Natur: Ich helfe zusammen mit dem anderen Klosterzeitler
Oliver in der Schreinerei aus. Dort schleifen und ölen wir Gartenmöbel.
Ich und Oliver beim
Schleifen und Ölen
Um ca. 10.30 Uhr endet die Arbeit. Nun ist Zeit zum Umziehen
oder für eine Dusche, bevor um 11.15 Uhr im unteren Chor der Klosterkirche das
„Konventamt“ beginnt: Im Grunde eine Eucharistiefeier, die vom Konvent, also
den Brüdern und Priestern der Klostergemeinschaft, gefeiert wird. Auch
Gottesdienstbesucher auf der anderen Seite des Lettners, dem Eisengitter, das
Altarraum und Kirchenschiff voneinander trennt, sind willkommen. Nach ca. 40
Minuten endet die Feier und ich begebe mich zurück in die Klausur, um mich ein
wenig aufzuwärmen. Um 12.05 Uhr beginnt die Sext, eine Art Mittagsgebet, bei
dem vom Vorsteher vor allem Psalmen vorgelesen werden. Dafür begebe ich mich
zurück ins Chorgestühl des unteren Chores. 10-15 Minuten später gehen wir
zusammen mit den Mönchen ins barocke Refektorium, den Speisesaal der Klausur,
um zu Mittag zu essen. Während des Mittag- und Abendessens gibt es eine
„Tischlesung“, das heißt, ein Bruder oder Priester liest im Speisesaal von
einer Kanzel aus Bücher vor, darunter Passagen aus der Bibel,
(Kunst-)Geschichte und der Benediktsregel. Alle Werke haben einen Bezug zum
Kloster. Beispielsweise ging es bei den vergangenen Mittagessen um das Leben
und Wirken der Gebrüder Asam, die die Decke des Mittelschiffs der Klosterkirche
von 1724 bis 1726 prächtig ausgemalt haben. Gefühlt ist der Heilige Benedikt
für mich durch die Beschallung während der Mahlzeiten zum Erfinder des Podcasts
geworden. Im Schlechten wie Guten: Manchmal kann ich gar nicht mehr hinhören,
weil mein Gehirn in dem Moment überfrachtet ist und man hört nurmehr selektiv
zu. Andererseits höre ich durch die Tischlesung Bücher und Werke, für die ich
sonst wohl nie die Muße aufgebracht hätte, sie einmal zu lesen und erlebe das
durchaus als Bereicherung. Nach Ende des Mittagessens um ca. 13.00 Uhr gibt es im
Frühstücksraum für Mönche und Gäste eine Kaffe- und Teepause. Von 13.30 Uhr bis
ca. 16.00 Uhr geht es wieder an die Arbeit, diesmal theoretischer Natur: Derzeit formatiere ich am Schreibtisch
Fußnoten für einen Artikel. Um 16.30 Uhr beginnt dann die Vesper. Früh genug, dass
Pilger und Tagesausflügler teilnehmen können: Die Marienwallfahrt spielt seit
dem Mittelalter eine wichtige Rolle für das Kloster und zieht seitdem jährlich
viele Menschen an, besonders in den Marienmonaten Mai und Oktober.
Zum Abschluss der Vesper prozessieren die Mönche vom unteren Chor zur
Gnadenkapelle im vorderen Kirchenschiff. Dort singen sie jeden Abend das
„Einsiedler“ Salve Regina, vertont in einer ureigenen gregorianischen Melodie.
Gnadenkapelle während
des Salve Regina
Nun ist wieder circa eine Stunde Puffer bis zum Abendessen,
das um 18.30 Uhr im Refektorium beginnt. Die Zwischenzeiten nutze ich gern, um
Französisch zu lernen – immerhin geht es ja im Mai schon nach Frankreich. Nach
dem Abendessen ist es ca. 19.10 Uhr. Das letzte Gebet des Tages, die Komplet,
wird um 20.00 Uhr im unteren Chor gebetet. Schön endet dieses mit der gemeinsam
gesungenen Antiphon des Nunc Dimittis: „Sei unser Heil, oh Herr, wenn wir
wachen, und unser Schutz, wenn wir schlafen, damit wir wachen mit Christus und
ruhen in seinem Frieden.“ Es folgt ein kurzes Gebet und der Abt besprengt die
Brüder und Patres mit Weihwasser. Ein Tag im Kloster Einsiedeln ist vorbei. Es
ist 20.25 Uhr.
Neben dieser alltäglichen Routine gab es ein paar besondere
Ereignisse, welche ich diese Woche im Kloster erlebt habe und kurz erläutern
will. Vergangen Sonntag habe ich nachmittags an einer ukrainisch-orthodoxen
Messe in der Magdalenenkapelle, einem Seitenschiff der Klosterkirche,
teilgenommen. Die Liturgie hat ungefähr anderthalb Stunden gedauert und ich
habe bis auf das immer wieder gesungene „Gospodi pu mi Lui“ – zu Deutsch „Herr,
erbarme dich“ – kein Wort verstanden. Erstaunt hat mich, manche Elemente der
Katholischen Liturgie wie die Gabenbereitung und Predigt in der orthodoxen
Messe wiederzufinden. Der Gottesdienst war gut besucht, was darauf hinweist,
dass es in Einsiedeln und der näheren Umgebung eine lebendige ukrainische
Gemeinde gibt. Ein Highlight war außerdem der Besuch des Ateliers von Pater
Jean-Sebastian, der studierter Künstler ist und gerade einen Kalligraphiekurs
betreut: Kalligraphiebegeisterte aus Frankreich, Deutschland und der Schweiz
reisen extra an, um teilzunehmen. Ansonsten waren ich und Oliver einmal in der
„Fraterstube“, einem Raum in der Klausur, der der Erholung und dem gemütlichen
Beisammensein dient. Bei einem Stück Kuchen haben wir mit ein paar Mönchen zusammengesessen
und eine fröhliche Zeit verbracht. Zwischendurch war auch mal Zeit für einen
Spaziergang zum Sihlsee, ungefähr 20 Minuten vom Kloster entfernt.
Sihlsee
Ich habe dank einer Klosterführung von Oliver die Gebäude
und Liegenschaften des Klosters nun schon ein wenig kennengelernt. So langsam
weiß ich, mich in dem riesigen Barockbau zu orientieren. Die Routine tritt nun
mehr in den Vordergrund, was einerseits gut ist, denn die Tagesstruktur trägt
langsam und ist keine Last mehr. Andererseits wird die Klosterwelt Einsiedeln nun
ein wenig entzaubert. Mal sehen, was die nächste Woche bringt. Ich sehne mich
sehr nach dem Frühling, seiner belebenden Kraft und wärmenden Sonne. Bis dahin
sage ich „Wohl bekomm´s“ wie die Mönche nach dem Mittag- und Abendessen.
Bleibt derweil behütet und bis nächste Woche!
Raphael
Schön von dir zu hören. Ich bin Oblate in Münsterschwarzach und dir unter Jürgen Polster bekannt
AntwortenLöschenLieber Bruder Franz, danke für deine Nachricht! Ja, wir kennen uns! Davon habe ich schon gehört. Als Oblate bist du im Benediktinischen beheimatet, nehme ich an. Ich bin gespannt auf deine Gedanken zum Blog und freue mich, dass du ihn liest! Herzliche Grüße ins Heimatland und auf bald mal... ;)
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