Woche 7: Die Osterwoche
Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlich willkommen zurück auf dem Blog. Es ist nun schon
sieben Wochen, also fast zwei Monate her, dass ich hier im „winterlichen“
Einsiedeln angekommen bin. Die Tage waren kurz und das Wetter rau: Schnee
bedeckte Teile des Ortes. Die Klosterkirche war kalt. Nebel bedeckte die
Nadelwälder des Alpenvorlandes und behinderte die Sicht. Der Himmel war ein
undurchsichtiges, dunkles Grau und spie Regen und Schnee. Gerne blieb ich in
den Klostergebäuden und konsumierte viel Tee. Vor die Türe setzte ich ohne
Grund keinen Fuß. Lediglich zum Einkaufen oder um Besuch herumzuführen, begab
ich mich mal länger hinaus.
Dieses Wochenende scheint den Anfang vom Ende dieser Zeit zu
markieren. Gestern kletterte das Thermometer erstmals über 22 Grad und die
Sonne lächelte von oben. Eine größere Zahl an Pilgern als sonst strömte zum Salve
Regina an der Gnadenkapelle; ich ahne langsam, was der Mai als
Marienwallfahrtsmonat bringen wird: Viele Pilger und Touristen. Einen kurzen
Vorgeschmack davon durfte ich bereits an Ostern bekommen als über dreißig
Gäste am Triduum im unteren Chor teilnahmen. Als Gäste waren sie auch im Kloster
untergebracht. In dem Fall nur Männer, versteht sich, da Frauen sich nur in
Ausnahmefällen – zum Beispiel aus beruflichen Gründen – im Klausurbereich
aufhalten dürfen. Oder wie es Pater Meinrad in einer SRF Sendung elegant
ausdrückt: „Katze Heidi ist das einzige in der Klausur wohnhafte weibliche
Wesen.“ 😉
In den Nebengebäuden des Klosters – außerhalb der Klausur – wohnen auch
Vertreter des anderen Geschlechtes: So ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Klosters, die in der Schreinerei, Wäscherei, Küche, Service,
Verwaltung, Gärtnerei beschäftigt sind.
Wohin wollte ich eigentlich? Ich will euch wie üblich
zunächst ein wenig chronologisch vom Verlauf der Woche erzählen:
Am Abend des Ostersonntags kamen meine Eltern zu Besuch und ich habe mir die darauffolgenden Tage bis einschließlich Mittwoch freigenommen. Sie haben sich eine Ferienwohnung gemietet, in die sie Labrador Bruno mitnehmen konnten.
Der Abend war fröhlich und ich war wieder einmal erstaunt
und beeindruckt, wie multilingual die Mönche sind: So beherrscht Gästepater
Benedikt Rätoromanisch, Deutsch, Englisch, Französisch und Italienisch. Saint
Meinrad Abbey wurde im 19. Jahrhundert gegründet, nachdem Kloster
Einsiedeln vorher knapp der Auflösung entgangen war. Die napoleonische Zeit hat
auch in Einsiedeln ihre Spuren hinterlassen: Französische Truppen plünderten das Kloster
und zerstörten die Gnadenkapelle. Die Mönche mussten fliehen, konnten aber
später zurückkehren. Anders das Kloster St. Gallen in der gleichnamigen Stadt, welches um 1800
aufhörte zu existieren und aufgehoben wurde.
Donnerstag und Freitag waren weitestgehend normale
Arbeitstage: Ich war wieder in der Schreinerei und Magdalenenkapelle
eingesetzt. Mit dem Schleifen und Ölen der Bänke machen wir Fortschritte. Nächste oder
übernächste Woche werden wir wohl damit fertig werden.
In meiner Freizeit zwischen den Mahl-, Gebets- und
Arbeitszeiten lese ich im Moment ein Buch, das ich in der Bibliothek geliehen
habe. Sören Kierkegaard gilt als „Wegbereiter der Existenzphilosophie“. Kierkegaard
betont in seinem Tagebuch die Wichtigkeit eines persönlichen Zugangs zum
Glauben. Dieser macht den Glauben existenziell und sinnvoll, wie er feststellt:
„Was mir eigentlich fehlt, ist,
ins Reine mit mir selbst zu kommen darüber, was ich tun soll […]. Es kommt
darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was Gott eigentlich will,
dass ich tun soll; es gilt eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit ist für mich,
die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. […] [Was] nützte es
mir, die Bedeutung des Christentums entwickeln zu können, viele einzelne
Phänomene erklären zu können, wenn sie für mich selbst und mein Leben keine
tiefere Bedeutung hätten?“
Wenn also das eigene Leben in Berührung mit Gottes
Geschichte kommt, entsteht Sinn und Bedeutung. Das ist es auch, was ich hier
suche und den Mönchen unterstelle: In der vertieften Gottsuche finden sie
Sinnhaftigkeit und Getragenheit. Ein metaphysisches Gebäude trägt sie gleichsam
wie die Mauern das Gewölbe der Klosterkirche. In diesem Gebäude kommt jeder
Tageszeit und Stunde eine Bedeutung zu. In der sichtbaren Welt finden sie eine
Heimat in der unsichtbaren. Die Verbundenheit und Spannung beider „Welten“ halten
die Mönche im Klosteralltag. Das zeigen auch die eschatologischen und
transzendenten Bezüge der Liturgie: Das Fürsprachehalten bei Heiligen, das
Fürbittgebet für Verstorbene, mit welchen wir uns in einer großen Gemeinschaft
befinden: Letztere sind, was wir sein werden: Tot, um aufzuerstehen. Die
metaphysische Welt ist eine voller Bilder, Allegorien und Symbole. Hier im
Kloster verweisen diese alle auf die Offenbarung Gottes und sein Heilshandeln
in der Geschichte der Menschen. Für mich bleibt diese Welt vorläufig, denn
niemand kann das Geheimnis Gottes und seiner Offenbarung voll begreifen, und
unabgeschlossen: Was nach dem Tod mit uns passiert, können wir erahnen,
keinesfalls wissen. Aber sehr wohl können wir auf ein gutes Ende hoffen. Und
diese Hoffnung kann das Leben in der Gegenwart stärken und bereichern. Bis es
soweit ist, dass ein Mensch die volle objektive Wahrheit Gottes „schauen“ kann
– solange er lebt, braucht es wahrscheinlich solche „Scharniere“ zwischen
natürlicher und übernatürlicher Welt. Das Kloster ist so ein Ort.
Nun aber genug der Philosphie: Vor mir steht eine neue Woche
und ich bin wieder mal gespannt, was sie bringen wird. Ich fühle mich innerlich
recht aufgeräumt. Gleichzeitig merke ich, dass ein gewisser Alltagseffekt
eingetreten ist: Der abenteuerliche Entdeckungsdrang hat abgenommen; die Klosteranlagen und -abläufe kenne ich nun gut. Lange habe ich mich aber noch nicht
mit allen Brüdern und Patres persönlich unterhalten. Vielleicht wäre das etwas
Interessantes für die kommende Woche.
Bis dahin wünsche ich euch Gottes reichen Segen und alles Gute!
Bleibt behütet und bis bald!
Raphael
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