Woche 11: Der Gott des Sihlsees

Liebe Leserin, lieber Leser,

wieder einmal ist wie im Flug eine Woche vergangen. Zu berichten gibt es reichlich Neues. Doch beginnen wir von vorne: Letzten Sonntag hat auf Einladung des „Klosterkünstlers“ und Mönches Jean-Sebastian ein taiwanesischer Tonschalenkünstler das Kloster besucht, um einen Vortrag über sein Schaffen zu halten.

Plakat zum Vortrag

Dafür haben wir uns um 15 Uhr im „großen Saal“ eingefunden. Vor und nach der Veranstaltung gab es die Möglichkeit, einige seiner handgefertigten Teeschalen anzusehen und zu betasten. Diese Tonschalen werden mit einer speziellen Technik hergestellt und einer eisenhaltigen Glasur überzogen. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass sie unter Sonneneinstrahlung und ultraviolettem Licht besondere Muster zeigen. In manchen Schalen sind Silhouetten von Blättern eingebrannt. Der Vortrag gab Einblicke in die chinesische Kultur und buddhistische Religion. So erzählte der Künstler, er habe sich in den vergangenen Tagen häufig auf Wanderschaft ins Umland begeben und durch ein „Laubblätterorakel“ ersonnen, ob er dem „Gott des Sihlsees“ eine Tonschale schenken solle. Was sein Schaffen anbelangt, sei er sich sicher, dass er als wieder zu Erde Gewordener geküsst werde, wenn er zu einer Schale geformt werde. Die chinesisch-buddhistische Religion machte auf mich einen holistischen, pantheistischen Eindruck und hat mich an Mythen wie die der Griechen erinnert; durchaus interessant.

Vortrag im "Großen Saal"

Einen Tag später, am Montag, habe ich dann einen freien Tag verbracht. Ich nutzte das schöne Wetter für eine Fahrradtour zur Meinrad-Kapelle oberhalb des Zürichsees. Dabei habe ich das „Galgenchapälli“ passiert, das frühere Golgotha Einsiedelns. Die zum Tode Verurteilten der Region wurden hier hingerichtet. Einen so schönen letzten Blick bekommt wohl nicht jeder zu genießen. 😉

"Galgenchapälli"

Direkte Umgebung der Kapelle
zwischen Etzel und Kloster

Der Dienstag war ein recht normaler Arbeitstag: Vormittags habe ich meinen Sakristandienst im unteren Chor erfüllt; nachmittags gings in den Klosterladen, um Artikel auszupacken und mit Preisen zu bekleben.

Am Mittwochnachmittag nahmen Oliver, Jean-Marie und ich Vorbereitungen für die Orientierungstage vor: Wir haben Tische, Bänke und Technik über das Schulgelände der Klosterkirche transportiert und in verschiedenen Räumen aufgebaut. Immerhin wurden für zwei Tage über 150 Personen erwartet.

Zum Programmauftakt am Donnerstagmorgen haben ich und Oliver beim Check-In und am Infopoint ausgeholfen. Nachmittags haben wir als Wegweiser fungiert, um die Teilnehmer in die richtigen Räume mit entsprechenden Workshops zu „verschieben“. Dabei hat mir ein Priester selbstironisch einen Witz erzählt: „Was haben ein Wegweiser und ein Priester gemeinsam: Beide zeigen den Weg an; aber keiner von ihnen geht ihn.“ ;P

Beim Check-In in der Stiftsschule

Am Abend wohnten wir dann dem „Grillieren“ bei und das ein oder andere interessante Gespräch ergab sich mit Leuten, die an der Tagung teilnahmen.

Der Freitag stand ebenfalls ganz im Zeichen der Impulstage: Während ich bis Mittag meinen Sakristandienst in der Magdalenen- und Beichtkapelle verrichtete, verbrachte ich den ganzen Nachmittag und Abend am Infopoint beziehungsweise beim Abbau. Als Dank für den programmtechnisch dichten Dienst wurde ich mit Gutscheinen für den Klosterladen entlohnt.

Infopoint

Diese Woche waren deutlich weniger Mönche bei dem Stundengebet und den Mahlzeiten. Das lag wohl daran, dass im Moment die „Lässe“ stattfindet. Auf der Website findet sich dazu folgender Text:

„Die „Lässe“ sind 4-5 gemeinsam verbrachte Urlaubstage, die drei Mal im Jahr angeboten werden: im Frühling, Sommer und Herbst. Bevor die moderne Medizin auch im Kloster Einsiedeln Einzug hielt, war der Aderlass ein gängiges Heilverfahren, dem sich auch die Mönche öfters unterzogen. Nach erfolgter Behandlung hatten die Mönche jeweils Anrecht auf einige Erholungstage, um nach der anstrengenden Prozedur wieder zu Kräften zu kommen. Der Aderlass ist längst verschwunden, die Erholungstage sind – Gott sei Dank – geblieben. Heute ist die Lässe ein wichtiges Element des klösterlichen Gemeinschaftslebens und wird meist zum gemeinsamen Wandern genutzt.“

Von der Lässe hat Bruder Klemens beim Frühstück erzählt: Die Tage haben er und andere Mönche vor allem mit Wandern in der Umgebung verbracht. Aus diesem Grund entschied sich wohl auch vorgestern der Abt, beim Abendessen die traditionelle Tischlesung und den aufwendigen Tischdienst für doch so wenige auszusetzen: So saßen wir alle gemeinsam am Gästetisch und jeder bediente sich selbst an den Speisen.

Nächste Woche bin ich schon drei Monate hier. Was steht kommende Woche an? Oliver wird das Kloster am Sonntag verlassen. Am Samstag Abend werden wir deshalb seinen Abschied feiern und meinen Geburtstag noch dazu. Anderthalb Wochen später werde ich ebenfalls aufbrechen, um nach Fleury zu gehen! Soviel für heute.

In diesem Sinne wünsche ich euch allen eine gute Woche und Gottes Segen!

Herzlich!

Raphael

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