Woche 17: Der Blick vom Glockenturm
Liebe Leserin, lieber Leser,
diese Woche war eine gewöhnliche
Arbeitswoche. Doch sehen wir sie uns näher an:
Sonntags habe ich mein
persönliches Geschenk an die Gemeinschaft verspeisen dürfen: Zum Mittagessen
wurde eine Scheibe Einsiedler Birnenbrot, welches ich als Geschenk mitgebracht
hatte, zum Dessert gereicht. Montags, mittwochs und freitags ging es wieder zum
Schneiden von Apfelbäumen mit Samuel und Benjamin in den Obstgarten, dienstags und
donnerstags zum Ausreißen von Unkraut in einen der Innenhöfe und zum Schneiden
von Hecken und Büschen in einen anderen Teil des Gartens. Dabei habe ich mich
gut mit Theophan unterhalten, der ein wenig Deutsch beherrscht. Montags habe
ich mich außerdem mit Pere Pierre-Marie unterhalten, der mir ein bisschen von
der Klostergeschichte, vor allem der Wiederbesiedlung erzählt hat. Auf einer
Karte hat er auf die Lage sämtlicher benediktinischer, zisterziensischer und
trappistischer Abteien in Frankreich verwiesen. Für das Mönchtum im Allgemeinen
ist Frankreich von hoher Bedeutung, nahmen doch viele Klosterreformen in diesem
Land ihren Ursprung, so zum Beispiel die Klosterreform von Cluny. Auch die
Trappisten gehen auf einen französischen Reformabt zurück. Einfach ausgedrückt:
Der älteste nach der Benediktregel lebende Orden sind die Benediktiner mit
einem ersten Kloster in Monte Cassino im 5. Jahrhundert, deren Reform sind die
Zisterzienser, welche die Benediktsregel seit dem Hochmittelalter „in strenger
Observanz“ ausführen, deren Reform die Trappisten sind, welche die
Benediktregel „in sehr strenger Observanz“ ausüben. Von einem Besuch in
Südfrankreich weiß ich, dass auch in der Zeit vor Benedikt Zönobiten, also eine
in einem Kloster lebende Gemeinschaft, in Frankreich präsent waren. So ließ
sich zum Beispiel Johannes Cassian, der die Werke der Wüstenväter systematisierte
und zusammenfasste, zu Ende seines Lebens in Marseille nieder: Um 415 gründet er dort das
Frauenkloster Saint-Saviour und das Männerkloster Saint-Victor, wo er ab 419
seine Schriften verfasste und wahrscheinlich 435 verstarb. Pierre-Marie verwies
außerdem auf die beiden Benediktinerkongregationen, die in Frankreich vertreten
sind: Solesmes und Subiaco. Als Kongregation bezeichnet man den Zusammenschluss
mehrerer Klöster zu einem Dachverband. Die französischen Äbte der Kongregation
von Subiaco verweilten diese Woche zu Beratungen im Kloster Fleury. Wie ich
bereits in einem früheren Post erwähnt habe, ist das Kloster Fleury Mitglied dieser
Kongregation, jener also, in welcher auch Monte Cassino Mitglied ist, was
vielleicht daher rührt, dass beide Abteien für sich beanspruchen, die Gebeine
des Heiligen Benedikts zu besitzen. Der Legende nach wurden die Gebeine des
Heiligen Benedikt damals über den nahe dem Kloster Fleury gelegenen Hafen „Le
Porte“ angelandet. In Kloster Einsiedeln gingen die Mönche daher „auf Nummer
sicher“ und erwarben im Mittelalter Reliquien aus beiden Klöstern.
Kurz nach ihrer Gründung im siebten Jahrhundert erlebte die
Abtei Fleury eine erste Blütezeit und entwickelte sich zu einem Zentrum von
Bildung und geistlicher Macht. Als die Mönche entschieden, sich hier dauerhaft
niederzulassen, nannten sie den Ort Fleury von Fleur, der Blume, was auf die
Wildnis, Unberührtheit und Schönheit des Ortes schließen lässt. Wenn ich mir
das vorstelle, will ich mir aber kaum ausmalen, wie „einsam“ dieser Ort mitten
im Nirgendwo gewesen sein muss. Ähnlich wie Kloster Einsiedeln war dieser Ort
zur Zeit der Besiedlung Neuwald. Das Dorf darum entstand erst durch die
Pionierarbeit der systematischen Erschließung und Urbarmachung, den
monastischen „Fleiß“.
Am Samstag habe ich am wöchentlichen Spaziergang der Mönche
teilgenommen. Mit dem Abt und einem weiteren Pere bin ich gut ins Gespräch
gekommen, der mir von seiner Berufungsgeschichte erzählt hat. Er spricht gutes
Englisch und hat in Neuengland, den Vereinigten Staaten, Business studiert,
bevor er in Fleury und einem anderen Kloster in Südfrankreich eine „Auszeit“
nahm, woraus ein „Für-immer“ wurde. Nachdem wir von den Ufern der Loire zurückgekehrt
waren, hat er mir noch das Gebälk und den Dachstuhl des Glockenturms und
Kirchenschiffs gezeigt, welche zurzeit schrittweise erneuert werden. Um in die
Höhe zu gelangen, bestiegen wir enge Wendeltreppen und ein Metallgerüst. Von
oben lässt sich ein toller Ausblick über die flache Landschaft bis nach Orleans
genießen. Balken, Bretter und Schieferplatten säumen den Auf- und Abstieg zum Glockenturm.
Aber seht selbst:
Die Zeit geht auch hier ins Land: Nun beginnt die vierte
Woche meines Aufenthalts in der Abtei. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass alles
weniger schnell läuft als in Einsiedeln. Das mag damit zu tun haben, dass ich „nur“
dreimal täglich ins Gebet gehe, viel Zeit mit Lernen oder Lesen verbringe und
auch mal ausschlafe. Da das Wetter heute nicht gut ist, werde ich die für heute
geplante Fahrradtour nicht antreten: Ich wollte mit Theophan entlang der Loire
radeln. Vielleicht nächstes Wochenende…
Bis dahin behüt‘ euch Gott! Eine gute
Woche wünscht euch
Raphael
Lieber Raphael, schön, dass Du jede Woche zum Schreiben kommst: und so viele Details von dem Kloster erfährst! Interessant im Gebälk zu sein! Auf Deinen Loire-Ausflug bin ich gespannt - war ich doch vor 40 Jahren nach dem Abi dort auf Schlösser-Tour! Bleiben wir weiter verbunden!!!
AntwortenLöschenLiebe Christine, ja, da oben ist es schön und es geht immer ein frischer Wind! Allerdings ist es auch Baustelle und man muss auf jeden Schritt achten! Wow, darf ich fragen, welche Schlösser ihr angeschaut habt? Chateau Sully ist hier "um die Ecke", andere Chateaus sind deutlich weiter weg: Zum Beispiel das allerseits bekannte Chateau Chambord.
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