Woche 18: Sommeranfang und Sturmschäden

Liebe Leserin, lieber Leser,

je resous sur la lyre mon enigme – ich löse mein Rätsel auf beim Harfenspiel – heißt es im Buch der Psalmen.

Dieser Vers hängt gerahmt im Musikzimmer der Abtei, den ich diese Woche besucht habe: Eine Zither, eine Gitarre, ein Klavier und weitere Musikinstrumente befinden sich dort. Ein Ort, um einen zentralen Bestandteil des Mönchslebens zu erlernen: Das Singen des gregorianischen Chorals in Begleitung von Musikinstrumenten. Wie in Einsiedeln wird in der Abtei Fleury der gregorianische Choral während des Chorgebets und der Messe gesungen, hier aber ausschließlich auf Latein. Die fremde Sprache und Melodie verbreiten einen für viele Menschen ungewohnten, „rätselhaften“ Klang: Da „neig ich mein Ohr“ wie es im selben Vers in Psalm 49 steht. Beim Lauschen der Klänge und Eintauchen in diese Melodien öffnet sich ein Portal in eine ästhetische, erhabene wie kunstvolle Welt. Der Gesang steigt wie Weihrauch in das Kirchenschiff auf und erfüllt die ganze Basilika. Zum Choral treffen sich die Benediktiner von Fleury täglich fünfmal. Indem die Gemeinschaft an festen Zeiten des Tages Gott Zeit einräumt, die in mancher Augen unnütz und unproduktiv erscheinen mag, erhält jeder Tag eine spirituelle, innere Grundstruktur und Bedeutung. Oder wie es Abt Urban Federer von Einsiedeln im Deutschlandfunkinterview ausdrückt:

„Die Geschichte zeigt, dass gerade dieses Nicht-Produktivsein und sich etwas anderem widmen, das man nicht sieht – ich nenne es mal vorsichtig transzendent, also etwas, was uns übersteigt –, das hat die Produktivität der Klöster ausgemacht: Sie haben sich, weil sie so ein Ziel hatten, extrem für die Gesellschaft eingebracht: Die Bildung haben sie gefördert, Kultur haben sie gebracht, wenn man an Wald-, Landwirtschaft und Wein denkt“.

Das (Stunden-) Gebet ist eine Handlung, die sich aus der unmittelbaren Verbundenheit der diesseitigen, sichtbaren Welt mit der jenseitigen unsichtbaren ergibt. Es ist kein „magisches Ritual“, vielmehr verleihen Menschen im Gebet dem „Rätsel“ ihrer Existenz – warum gibt es überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts – Ausdruck und nähern sich dem Bild, wie sie wirklich von Gott gedacht und gewollt sind, durch diese Übung an. Das Kloster ist eine Lebensschule: Man hat nie ausgelernt bis man in die „ewige Heimat“ zurückgeht. Als tägliche Präsenzübung und Routine fällt das Gebet mal leichter und mal schwerer. Das Gebet hilft dazu, den Geist zu nähren, um sich zu erneuern oder beim Heilen von Wunden.

Solche haben Stürme und Gewitter vergangene Woche im Obstgarten der Abtei hinterlassen: Eine achtzig Jahre alte Zeder und ein ebenso alter Kirschbaum wurden vom Wind stark geschaukelt, sodass große Äste abbrachen. Um das Umfeld der Bäume zu sichern und wieder passierbar zu machen, haben ich und Bruder Theofan uns der Sache angenommen: Dienstag und Donnerstagnachmittag haben wir gemeinsam die abgebrochenen Äste zerkleinert und entfernt. Eine nicht ganz ungefährliche Arbeit, da diese Äste recht schwer sind. Mit handwerklichem Geschick haben wir die Bäume so angeschnitten, dass die teilweise gebrochenen Äste mit einem Ruck endgültig vom Baum abbrachen. Malerisch war die Aussicht während des Arbeitens auf die Klosterkirche, in der gestern zu dieser Zeit eine Trauung stattfand. Nach der Zeremonie ertönten Jagdhörner und es wurde Festmusik gespielt.


Vorromanische Klosterkirche St. Benoit mit Klausurmauer

Erwähnenswert erscheint mir diese Woche außerdem ein kleiner Ausflug zur Scholastika-kapelle unweit des Klosters, die in ihrer Bausubstanz aus der Gründungszeit des Klosters stammt und nach der Zerstörung durch die Revolution neu errichtet wurde. Der Legende nach lagen hier eine Zeit lang die Gebeine der Schwester des Heiligen Benedikt:

Im neugotischen Stil wiedererrichtete Scholastikakapelle am Ortsrand

Insgesamt schaue ich auf eine sommerliche Woche zurück. Die farbenfrohe Landschaft und der Garten laden zum „Schauen“, zur Kontemplation, ein. Wenn auch wechselhaft, hat sich warmes Wetter nun durchgesetzt, welches ich heute Nachmittag für eine Fahrradtour mit Theophan nutzen will. Morgen feiern wir das Fest Johannes des Täufers. An diesem Tag wird nicht gearbeitet und ich kann ihn ebenfalls für einen Ausflug nutzen.

Beste Grüße und eine gute Woche! Cordialement!

Raphael

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Herzlich willkommen!

Woche 2: Aus Zauber wird Routine

Woche 3: Die monastische Lebensweise