Woche 20: Lesen und baden
Liebe Leserin, lieber Leser,
heute mal ein vorgezogener
Eintrag, da ich in ein paar Stunden für einige Tage nach Deutschland abreise. Wie
die vergangenen Wochen war auch diese eine eher gewöhnliche Woche ohne große
„Highlights“. Ich hatte Zeit zu lesen: Im Moment durchstöbere ich das auch in
deutscher Sprache erschienene Tagebuch von Etty Hillesum „Das denkende Herz“,
welches in den vierziger Jahren in den besetzten Niederlanden entstand. Die Schriftstellerin
jüdischen Ursprungs schildert darin ihre alltäglichen Erlebnisse sowie ihren „Weg
mit Gott“ allen Schwierigkeiten zum Trotz. Die äußeren Umstände für
„unerwünschte“ Personengruppen verschlechtern sich in den frühen vierziger
Jahren rapide. Schließlich organisieren die Juden selbst ihre Deportation, an
der Etty zunächst mitwirkt, von der sie später genauso erfasst wird und welche schließlich
das Ende der Tagebucheinträge bedeutet. Im Gegensatz zu Anne Frank geht sie
nicht in den Untergrund und teilt „solidarisch“ das „Massenschicksal“ der
Anderen. Paradoxerweise verzweifelt sie nicht angesichts der sich immer klarer
herauskristallisierenden Tatsache, dass sie dem Tod geweiht ist. Vielmehr
intensiviert sich dadurch ihr Vertrauen und ihr Glaube an Gott und das Gute im
Menschen. Sie hadert, versinkt aber nicht in Resignation. Sie bleibt in Kontakt
mit ihrem Gott und probiert verschiedene Gebetshaltungen und -weisen aus. So
kniet sie oft lange in ihrem Zimmer, um in sich „hineinzuhorchen“ und dem sie
umgebenden Mysterium „zu lauschen“. Die Zeit des äußeren Drucks und der Repression
führt bei ihr zu einem inneren Reifungsprozess und zum Feinschliff zur Schriftstellerin.
Ihre bildhafte Sprache, das Spiel mit Eindrücken und Impressionen sowie ihr Vermögen, dem schriftlichen Ausdruck zu verleihen, haben auch mich an das Buch gefesselt.
Ansonsten gibt
es zwei Begebenheiten, die diese Woche ein wenig hervortreten: Donnerstagvormittag
habe ich Theophan beim Kochen unterstützt, der planmäßig dafür eingeteilt ist. Zusammen
haben wir Quinoa und Salat zubereitet und nebenher französische Schlager
gehört. Gestern war wieder ein sogenannter „jour de désert“, ein Urlaubstag, der
jeden ersten Freitag eines Monats stattfindet. Wiederum zusammen mit Theophan habe
ich die Gelegenheit genutzt, um in der Loire schwimmen zu gehen. Anschließend
haben wir am Ufer gepicknickt, Musik gehört und danach einen ausführlichen Spaziergang
entlang des Radweges auf dem Damm sowie am Rand der Felder und Wiesen rund um
St. Bernoit-sur-Loire gemacht.
Ich freue mich
nun auf ein wenig Abwechslung: Auch wenn es kein wirklicher Urlaub ist – ich mache
eine Wohnungsbesichtigung, unterschreibe einen Arbeitsvertrag und lerne meine Pastoralkurskollegen
kennen, werde ich mal wieder meine Familie und Verwandten sehen. Wenn ich
zurückkomme, wird meine Mutter mich begleiten, um hier ein paar Tage Exerzitien
zu machen. Vielleicht werde ich in den letzten Wochen meines Aufenthaltes auch
ein wenig vormittags arbeiten. Das würde mich ein wenig besser auslasten.
Jedenfalls sind es nurmehr fünf Wochen bis zum Ende meines Aufenthaltes in
Frankreich! Le temps se dissipé…
Euch allen eine gute Woche und bis nächstes Wochenende! Cordialement!
Raphael
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